Jetzt im Herbst flitzen die Eichhörnchen wieder wie kleine Kobolde wild in der Gegend herum. Flink und fleissig suchen sie Bäume und Böden nach Nahrung ab. Der Winter ist nah, jede Nuss wichtig. Und man muss schon ein kalter Klotz sein, um das Gewusel des kleinen Nagers mit dem ausgeprägten Kindchenschema nicht putzig zu finden. Die Knopfaugen, der buschige Schwanz und ihre drollige Angewohnheit, Männchen zu machen, macht die Eichhörnchen zu wahren Sympathieträgern. Kinder lieben sie.
Bei schwarzen Eichhörnchen hört die Tierliebe allerdings schlagartig auf. Kaum werden sie erblickt, geht schon das Geraune los. Diese Eichhörnchen seien invasiv und böse, heisst es. Sie würden die heimischen roten Eichhörnchen ausrotten, wird Kindern selbst in der Schule gelehrt. Man müsse die schwarzen Invasoren um jeden Preis bekämpfen.
Andrea Turnell hört solche Geschichten, immer wieder. In Buttwil im Kanton Aargau leitet sie zusammen mit ihrer Tochter eine Eichhörnchenstation, die in Not geratene Tiere pflegt und aufzieht. Einmal rief eine Frau sie an, die gerade ein schwarzes Eichhörnchen gefunden und zum Tierarzt gebracht hatte. Der wollte das Hörnchen sofort einschläfern, erinnert sie sich, es sei ja fremd und bedrohe die heimischen Eichhörnchen, erklärte er. Turnell traute ihren Ohren nicht, aber immerhin konnte sie die absichtsvolle Tötung des gesunden Hörnchens noch abwenden. Fassungslos macht sie die Geschichte bis heute.
Nur die Farbe des Fells ist anders
Denn der Mythos vom bösen schwarzen Eichhörnchen hält sich hartnäckig und ist einfach nicht auszurotten. Dabei ist nichts davon wahr, völlig zu Unrecht werden Eichhörnchen mit dunklem Fell für invasive Schädlinge gehalten. Richtig ist: Schwarze Eichhörnchen sind weder böse oder aggressiv, noch gefährden sie die Eurasischen Eichhörnchen, wie die heimische Art genannt wird. Sie sind selbst Eurasische Eichhörnchen, werden also ebenfalls zu Sciurus vulgaris gezählt, wie Zoologen die heimische Art bezeichnen. Sie haben nur eine andere Fellfarbe als die roten oder braunen Eichhörnchen. Ihr Fell ist nicht rot, sondern schwarz. Sonst sind sie alle gleich.
«Das Eurasische Eichhörnchen Sciurus vulgaris hat schon immer eine hohe Variabilität der Fellfarbe gezeigt», sagt der Zoologe Gerhard Haszprunar von der Universität München. Diese reiche von Rot und Rotbraun über Dunkelbraun bis fast Schwarz. Diese Variabilität – die mitunter in Genen in den Kraftwerken der Zelle begründet ist – erlaube den Tieren, sich auf Baumarten mit unterschiedlich gefärbter Rinde jeweils gut zu tarnen, sagt er.
Die Fellfärbung sei wie unsere Haarfarbe, sagt Katja Rauchenstein, Wildtierbiologin bei der Beratungsstelle Swild in Zürich. Im selben Wurf können dunkle und rote Eichhörnchen geboren werden. In höheren Lagen kommen eher dunkle Tiere vor, in tieferen Lagen eher rote. Dieses Verbreitungsmuster könnte mit der besseren Tarnung in den dunklen Fichtenwäldern in höheren Lagen zusammenhängen, sagt sie, oder mit einer besseren Wärmeaufnahme durch die Sonne bei dunklerer Fellfarbe. In den Höhenlagen kommt es jedenfalls oft zu Melanismus, wie Zoologen die reine Schwarzfärbung nennen.
Verwechslung mit dem Grauhörnchen
Die Hörnchenlegende hören Rauchenstein und ihre Kollegen ebenfalls immer wieder. Wenn die Biologen an Exkursionen den Teilnehmenden Bilder von roten und schwarzen Eichhörnchen zeigten und fragten, um welche Arten es sich handle, meine immer ein Grossteil der Gruppe, dass das rote Eichhörnchen unser einheimisches Eichhörnchen sei und das schwarze das Grauhörnchen, sagt Rauchenstein. Offensichtlich halten die meisten Menschen das heimische Eichhörnchen mit der dunklen Fellfarbe für das invasive Grauhörnchen Sciurus carolinensis. «Sie verbinden die schwarze Farbe des einheimischen Eichhörnchens mit dem Grauhörnchen, da sie noch nie Vergleichsbilder gesehen haben», sagt sie.
Handelt es sich also um eine reine Verwechslung? Immerhin gibt es auch Grauhörnchen mit schwarzer Fellfarbe. Doch das ist hierzulande ausgeschlossen, weil das Grauhörnchen in der Schweiz noch gar nicht vorkommt. Zudem ist das Grauhörnchen etwas grösser, doppelt so schwer, deutlich weniger putzig und hat auch keine weissen Pinsel an den Ohren.